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Kategorie: Psychologische Therapie
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Einleitung

In ihrem Buch "Working with Emotions in Psychotherapy" (2003, p.84 ff) unterscheiden Greenberg und Paivio drei verschiedene Formen von "problematischen emotionalen Zuständen" (three different forms of problematic emotion states).

  1. Kein bewusstes Wahrnehmen (Unterbrechen) einer vorhandenen primären adaptiven Emotion
  2. Dominanz von sogenannten "bad feelings"
  3. Schmerzhafte Gefühle und traumatische Erlebensinhalte

Diese Zustände sind jeweils problematisch hinsichtlich der Art, wie der Klient seine Emotionen verarbeitet. Es sind also problematische Prozesse, die zu Stagnation und Leiden führen respektive das Leiden aufrecht erhalten. Das Identifizieren dieser unterschiedlichen problematischen emotionalen Zustände zieht unterschiedliche Behandlungsangebote nach sich. Endziel eines emotionsfokussierten therapeutischen Prozesses ist stets, dass der Klient seine primären adaptiven Emotionen wahrnimmt sowie das entsprechende Bedürfnis dazu. Dafür sucht man in der Therapie (und ausserhalb im "richtigen" Leben) einen geeigneten Ausdruck, welcher dann die gesunde Handlungstendenz, die in der primären adaptiven Emotion steckt, unterstützt.

Im Folgenden möchte ich diese drei verschiedenen problematischen Emotionsprozesse sowie deren psychotherapeutischen Umgang skizzieren.

emotional intimacy

1. Kein bewusstes Wahrnehmen der bereits vorhandenen primären adaptativen Emotion

Dieser problematische Zustand könnte man damit umschreiben, dass eine "gesunde" emotionale Reaktion in Reichweite wäre. Allerdings wird diese emotionale Reaktion nicht wahrgenommen, ihr Wahrnehmen wird unterbrochen und bleibt unbewusst. Ein Beispiel wären Trauergefühle nach einem Verlust (gesunde emotionale Reaktion). Stattdessen herrschen sekundäre emotionale Zustände vor wie depressive Gefühle, eventuell sekundäre Wut.

1.1 Woran erkennt man diesen problematischen Zustand?

Der Haupthinweis (marker) dieses Zustands besteht darin, dass von Anfang an, aus Sicht des Therapeuten zumindest, im Ansatz eine gesunde Handlungstendenz sichtbar vorhanden ist, allerdings nicht umgesetzt werden kann. Sichtbar ist die gesunde, adaptive Handlungstendenz beispielsweise an ihren non-verbalen Ausdrücken: Trauer im Gesicht, im Tonfall der Stimme, in der Gestik und Körperhaltung. Bestimmte Wörter, die der Klient verwendet, können ebenfalls auf das nicht bewusste Vorhandensein der adaptiven primären Emotion hinweisen.

1.2 Was ist zu tun?

1. Durch empathische Bezugnahme sowie weitere Behandlungsangebote (beispielsweise Focusing) muss die Bewussstwerdung und Wahrnehmung der bereits vorhandenen gesunden emotionalen Reaktion gefördert werden.

2. Der Klient muss sich die Emotion aneignen und sie als solche für sich anerkennen (owning of the emotion).

3. Der Klient drückt die Emotion verbal gegenüber dem Therapeuten oder einem imaginierten bedeutsamen Anderen aus.

 

2. Dominanz von sogenannten "bad feelings"

Wenn sogenannte "schlechte Gefühle" (bad feelings) dominieren, dann ist damit gemeint, dass sich der Klient wertlos, hoffnungslos, hilflos, ungeliebt, als Versager, schuldig oder beschämt fühlt (die Auflistung ist hier nicht vollständig). Das sind alles sogenannte sekundäre Emotionen (meistens jedenfalls). Sekundäre Emotionen verweisen auf die primären Emotionen, allerdings ist es in diesem Anfangsstadium noch unklar, ob das darunter liegende primäre Emotionsschema adaptiv oder maladaptiv ist. Wenn das darunter liegende Emotionsschema maladaptiv ist, dann haben wir es häufig mit einer mehr oder weniger komplexen Sequenz von Gefühlen und Kognitionen (Werten, Erwartungen, Bewertungen) zu tun, die mit vergangenen Erfahrungen aus dem Leben zusammenhängen (Erinnerungen). Diese Sequenz muss exploriert werden, bis es gelingt, das maladaptive primäre Emotionsschema explizit wahrzunehmen, das heisst bewusst zu machen.

2.1 Woran erkennt man diesen problematischen Zustand?

Der Klient äussert von sich aus Gefühle der Wertlosigkeit, Hilflosigkeit und der Hoffnungslosigkeit. Er fühlt sich unerklärlich schuldig oder beschämt. Er kritisiert sich dafür innerlich und schwankt zwischen Resignation und Protest. Es ist offensichtlich, dass es sich um sekundäre Emotionen handelt (Marker), die auf ein maladaptives Emotionsschema verweisen.

2.2 Was ist zu tun?

1. Zuerst geht es darum, den emotionalen Zustand der "bad feelings" zu aktivieren. Meist ist das kein Problem, denn deswegen ist der Klient / die Klientin in der Therapie. Voraussetzung ist aber, dass der Klient / die Klientin sich sicher fühlt, solche Gefühle wie der eigenen Wertlosigkeit auch äussern zu können. Es braucht einen sicheren, vertrauenswürdigen Rahmen und die entsprechenden nicht-wertenden Haltungen des Therapeuten (personzentrierte Grundhaltungen nach Rogers).

2. Fast immer haben die Klienten einen inneren Dialog mit sich selber. Einerseits verspüren sie die "schlechten Gefühle", andererseits reagieren sie auch innerlich bereits darauf. Diesen inneren Selbstdialog gilt es zu nutzen und "hörbar" zu machen. Indem man verschiedene Stühle benutzt, um die unterschiedlichen emotionalen Schemas darzustellen, kann ein Bewusstmachen des inneren Dialogs erleichtert werden.

3. Die dahinter steckende maladaptive Emotion gilt es zu benennen, das heisst zu symbolisieren.

4. Der Klient ist immer auch "Erschaffer" dieser maladaptiven Emotion und der damit zusammenhängenden "Glaubenssätze", die ihn gefangen halten im Leiden. Es gilt, sich dieser Rolle bewusst zu werden.

5. Wenn dieser Bewusstwerdungsprozess gelingt, dann wird es möglich, nach neuen angepassteren Emotionen und "Glaubenssätze" zu suchen. Die bisher immer zu kurz gekommenen Bedürfnisse, welche hinter der maladaptiven Emotion versteckt waren, können nun mit der neuen, angepassteren Emotion verbunden werden.

 

3. Schmerzhafte Gefühle und traumatische Erlebensinhalte

Schmerzhafte Gefühle, psychische Schmerzen sowie unter Umständen damit verbundene traumatische Erfahrungen sind die dritte Kategorie der problematischen Emotionszustände. Diese Emotionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Klient eigentlich am liebsten vermeidet, um die damit verbundenen schmerzhaften emotionalen Inhalte nicht zu spüren und die traumatisierenden Erinnerungen aus der Wahrnehmung zu verbannen. Paradoxerweise sind hier Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit keine maladaptiven Emotionen, sondern sind angemessen. Es geht darum, sich diesen und anderen schmerzhaften Emotionen zu stellen und sie vollständig zuzulassen. Nur wenn dies gelingt, so kann der Klient sich psychisch erholen. Denn dann wird er in Kontakt treten mit seinem Überlebenswillen und seiner Lebenskraft im Allgemeinen und bereit sein, aus der Not eine neue Tugend zu machen.

3.1 Woran erkennt man diesen problematischen Zustand?

Am Auffälligsten ist natürlich der emotional empfundene Schmerz und die entsprechende Vermeidung, sich darauf einzulassen. Viele Strategien des Ablenkens und Nicht-Wahrnehmens kommen hier, je nach Klient, zum Zuge, inklusive das Konsumieren von psychoaktiven Substanzen, um den Schmerz zu "anästhesieren". Der Marker für diesen Zustand ist häufig ein altes, nicht befriedigtes Bedürfnis oder Anliegen, so dass die adaptive Handlungstendenz nicht zur Geltung kommen konnte und unterdrückt werden musste/muss aufgrund der traumatisierenden Interaktionen von damals.

3.2 Was ist zu tun?

1. Annäherung an den Schmerz ermöglichen, Vermeidung abbauen

2. Aneignung der Tatsache, dass man selber die Vermeidung aktiv betreibt (agency of interruption) und erkennen, wie man die Wahrnehmung der Emotion unterbricht. Welche negativen "Glaubenssätze" über einen selber und über sein Leben helfen beim Unterbrechen?

3. Bewusstmachung des nicht befriedigten Bedürfnisses oder des ignorierten emotionalen Anliegens zum Zeitpunkt der schmerzhaften Erfahrung.

4. Ermutigung, dass involvierte Drittpersonen in symbolischen Handlungen die Verantwortung auf sich nehmen müssen - symbolisches von sich Weisen falscher Zuständigkeit, Verantwortung und Schuld

5. Loslassen des Schmerzes, Selbstbehauptung und Kontakt mit dem positiven Überlebenswillen

Literaturnachweis

Leslie S. Greenberg, Sandra C. Paivio (1997): "Working with Emotions in Psychotherapy". Paperback Edition (2003). The Guilford Press