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Kategorie: Psychologische Therapie
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Im Folgenden finden Sie eine Beschreibung der verschiedenen Funktionsweisen, bei denen die Betroffenen gemäss der Fachliteratur „nicht in der Lage sind, eine sexuelle Beziehung so zu gestalten, wie sie möchten.“* Die Fachliteratur, die sich um Diagnostik kümmert, teilt Funktionsstörungen der Sexualität unter "Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren" ein. Sexualstörungen gehören also in die gleiche Oberkategorie wie Essstörungen oder nichtorganische Schlafstörungen. Keinesfalls dürfen die untenstehenden Beschreibungen auch bewertend gelesen werden. Was einige als störend, ja quälend empfinden, können andere zum Glück viel gelassener annehmen, ohne es hinterfragen zu müssen. Das Akzeptieren-Können der eigenen Funktionsweisen ist eines der Merkmale einer psychologisch gesunden Sexualität.

Störungen des Sexualerlebens in der klinischen Psychologie

In der internationalen Klassifikation von psychisch bedingten Störungen (ICD-10) gibt es den Oberbegriff der nichtorganischen sexuellen Funktionsstörungen. Unter diesen Begriff fallen alle weiteren Störungen des sexuellen Erlebens und Funktionierens.

  1. Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen
  2. Der Mangel an sexuellem Verlangen muss selber die Hauptursache für alle andern Probleme mit der Sexualität sein. Es darf keine Folge sein von beispielsweise einer Erektionsstörung mit einer Partnerin (Erwartungsangst). Der Mangel äussert sich zum Beispiel auch darin, dass Masturbation oder jegliche sexuelle Stimulierung als überflüssig oder unattraktiv erlebt wird.

  3. Sexuelle Aversionen (Ablehnung) und mangelnde Befriedigung
  4. Damit meint man, dass die Vorstellung von einer sexuellen Partnerbeziehung stark negativ empfunden wird, sie Furcht oder Angst erzeugen kann und deshalb sexuelle Handlungen vermieden werden. Auch hier darf es sich nicht um eine Erwartungsangst handeln, woraus dann eine sexuelle Aversion enstanden wäre.

  5. Versagen genitaler Reaktionen
  6. Bei Männern bedeutet dies, dass beim Versuch, den Geschlechtsverkehr „auszuüben“, es zu keiner ausreichenden Erektion kommt. Dabei gibt es verschiedene Varianten:

    - am Anfang reicht die Erektion sehr wohl (vollständige Erektion), sie geht dann aber teilweise oder vollständig

    zurück, wenn der Geschlechtsverkehr versucht wird

    - Eine Erektion tritt nur unbeabsichtigt auf, nicht aber beim Versuch zum Geschlechtsverkehr.

    - Es kommt nur zu einer teilweisen Erektion

    - Es kommt zu keiner erhöhten Durchblutung des Penis (keine Erektion, mangelnde Tumuszenz).

    Bei Frauen bedeutet dies, dass die „Lubrikation“ entweder generell ausbleibt, nur am Anfang auftritt, aber sie nicht andauert oder nur situativ auftritt (z.B. nur mit einem bestimmten Partner, nur während der Menstruation oder wenn auf eine Penetration verzichtet wird).

  7. Orgasmusstörungen
  8. Eine Orgasmusstörung liegt dann vor, wenn er nicht eintritt oder nur stark verzögert. Auch hier gibt es verschiedene Varianten:

    - ein Orgasmus wurde nie erlebt, in keiner Situation

    - die Störung tritt auf nach einer Zeit relativ normaler sexueller Reaktion. Dabei kann sie generell sein (alle Situationen) oder nur situativ. Männer haben dann z.B. nur im Schlaf einen Orgasmus, nie im Wachzustand oder Frauen nur bei einem bestimmten Partner oder nur bei der Masturbation.

  9. Frühzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)
  10. Frühzeitiger Samenerguss bedeutet, dass es dem Mann nicht gelingt, die Ejakulation (Samenerguss) so zu kontrollieren, dass er zu einem befriedigenden Gefühl beim Geschlechtsverkehr kommt (das ist auch für die Frau unbefriedigend, was in der Regel die Belastung des Mannes erhöht). Der Samenerguss kommt immer viel zu früh, innerhalb der ersten 15 Sekunden nach Eindringen oder schon vor dem Eindringen in die Vagina der Frau. Ein frühzeitiger Samenerguss kann auch ohne Erektion geschehen. Als Ausschlusskriterium gilt eine Übererregtheit nach sexueller Abstinenz.

  11. Nicht-organischer Vaginismus
  12. Dabei handelt es sich um einen Krampf in der Beckenmuskulatur, welche die Vagina umgibt. Die vaginale Öffnung bleibt so verschlossen. Ein Eindringen ist nicht möglich oder mit Schmerzen verbunden. Häufig ist eine Erwartungsangst bereits vorhanden, weil vorhergehende schmerzhafte Erfahrungen gemacht wurden. Häufig ist die sexuelle Reaktion positiv, vorausgesetzt, es wird auf ein Eindringen verzichtet.

  13. Nicht-organische bedingte Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie)
  14. Solche Schmerzen können sowohl bei Männern wie auch bei Frauen auftreten. Wenn es keine eindeutigen organischen Ursachen dafür gibt, dann spielen emotionale, psychische Faktoren eine Rolle bei diesen Schmerzen.

  15. Gesteigertes sexuelles Verlangen
  16. Männer und Frauen, häufig im jungen Erwachsenenalter, können ihr sexuelles Verlangen als übersteigert empfinden und darüber klagen. Häufig kann dies als Symptom gesehen werden für eine affektive Störung. Dann geht es eigentlich nicht um ein gestörtes sexuelles Funktionieren.

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    * Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Huber Verlag, 1999, S. 201 ff