Drucken
Kategorie: Theorie | Wissenschaftliche Psychologie
Zugriffe: 2011
Stern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktiv
 

aeltereberuhigung 22879098 s

Die gerade in den der Psychotherapie häufig (und durchaus zu Recht) beschworene Formel "Sei dich selbst" hat wie jede Losung ein Zwillingsthema, das ich mit "Sei (wie) die Anderen" umschreiben möchte.

Therapieziel: Individualität oder Beziehungsfähigkeit?

Viele Menschen kommen in die Therapie mit ihrem psychischen Leiden und erhoffen sich eine Verbesserung. Das ist der Zweck der Psychotherapie. Dank Forschung und dadurch verbesserten Methoden ist die psychotherapeutische Hilfe häufig effektiv - zum Glück! Oft wird der Klient in dieser Selbst-Auseinandersetzung mit seinen Gefühlen, Emotionen und Gedanken ein stärkeres Ich entwickeln. Gerade so oft aber läuft die "Heilung" des Leidens darauf hinaus, beziehungsfähiger, bindungsfähiger zu werden.

Mehr "wie die Anderen sein" ist manchmal hilfreicher als mehr Individualität

Allein schon deshalb ist es wichtig zu erkennen, dass die Losung "mehr sich selber sein" ein Zwillingsthema hat. "Mehr wie die Anderen sein" oder "mehr mit den Anderen sein" könnte man dieses Zwillingsthema umschreiben. Fähiger werden, sich zu binden, Beziehungen zu leben, die emotionale Abhängigkeiten, die wir Menschen als Bindungswesen haben besser anerkennen: als ein ureigenes Bedürfnis, als ein tiefverankerter Wunsch, sich auf nahe Personen abstützen zu können. Das erfordert dann nicht unbedingt mehr Individualität, sondern vielmehr das Erkennen dieser Beziehungsbedürfnisse, für deren Befriedigung wir auf nahe Mitmenschen angewiesen sind. Das bedeutet, dass wir mehr "verschmelzen" und ineinander aufgehen statt uns auseinander zu dividieren (Individualität eben). 

Die beiden Therapieziele schliessen sich nicht aus

In welche Entwicklungsrichtung es bei einem konkreten Individuum geht, hängt... vom konkreten Individuum und seinem Leiden ab. Ich denke, wir sollten die Psychotherapie auch als Chance sehen, unsere Beziehungsfähigkeit und Bindungsfähigkeit zu erhöhen. Oftmals liegt darin auch ein sehr konstruktiver Weg aus dem Leiden heraus. Und last but not least: Wir sind alle "schöpferische" Individuen und unser inneres Wachstum drängt darauf, sich in diesem Sinne zu entfalten. Aber wir sind auch alle soziale Wesen, abhängig von Nähe und Fürsorge, von gelebtem Interesse an uns und leben und wachsen in Verbundenheit mit den Anderen.

Literatur

Otto Rank (1941): Beyond Psychology. Dover Publications. New York