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Kategorie: Theorie | Wissenschaftliche Psychologie
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respect collageRespekt ist ein sehr häufig verwendetes Wort (Konzept), wenn es Menschen darum geht zu beschreiben, wie sie behandelt werden wollen. Wir wollen "respektiert" werden und wissen, dass unsere Mitmenschen von uns einen respektvollen Umgang erwarten, seien das nun uns nahestehende oder entferntere Mitmenschen.

Im Wort Respekt versteckt sich leider eine Gewaltandrohung

Polemisch ausgedrückt ist Respekt aber ein Borderline-Konzept. Das heisst, ein Wort, das sehr ambivalent ist und Anlass gibt für einander widersprechende Verhaltensweisen.

Aus der Sicht der emotionalen Wahrnehmung fusst das Wort "Respekt" nämlich sowohl auf der Wertschätzung eines Mitmenschen wie auch auf der Angst vor ihm, je nach der Art der Beziehung oder der Situation. Wir alle lächeln innerlich zufrieden, wenn wir aufgrund freiwillig geäusserter Wertschätzung respektiert werden. Und falls wir uns nicht auf diese wertschätzende Art "respektiert" fühlen, dann drohen wir verärgert unseren Mitmenschen, dass wir gefälligst "respektiert" werden wollen! In beiden Situationen verwenden wir das gleiche Wort "Respekt", obwohl deutlich voneinander verschiedene zwischenmenschliche Situationen damit gemeint sind.

An diesem Beispiel können wir die Widersprüchlichkeit dieses Wortes erkennen. Es ist deshalb meiner Auffassung nach fragwürdig, zwischenmenschliche Beziehungen auf Respekt zu bauen, weil das Wort nebst einer echten freiwilligen Wertschätzung eine negative, drohende Seite hat, die die Furcht voreinander ins Zentrum stellt und die Wertschätzung einfach erzwingt unter Androhung von Sanktionen. Es macht keinen Sinn, ein und dasselbe Wort zu verwenden für zwei völlig verschiedene Situationen. Es ist nicht das Gleiche, jemanden aus Furcht vor der möglichen Vergeltung zu respektieren oder jemanden aus echter Wertschätzung oder Liebe zu respektieren. Das Wort "Respekt" vernebelt diese völlig unterschiedlichen Motive, die der Interaktion zugrunde liegen. Wer sich nicht respektiert fühlt von seinem Nachbarn, geht unter Umständen vor Gericht. Gar Kriege zwischen zwei Staaten werden vom Zaun gerissen, weil sich eine oder beide Nationen nicht "respektiert" fühlen und sich auf diesem Weg mindestens Respekt verschaffen wollen. Im Wort "Respekt" steckt eine Gewaltandrohung, die gefliessentlich ignoriert wird (übrigens wird zwischenstaatliche Gewalt immer seltener und falls ein Krieg zwischen Nationen stattfindet, so hat die durchschnittliche Dauer und die Opferzahl deutlich abgenommen zoom-link).

Die Alternative zu Respekt ist Freundlichkeit, so lange und so gut es irgendwie geht

Ich möchte meine Mitmenschen grundsätzlich wertschätzen und hoffe natürlich, dass man mich auch schätzt. Das ist die beste, aber nicht immer zwischen zwei verschiedenen Menschen durchgängig mögliche Variante der gegenseitigen Behandlung. Sollte das phasenweise oder gar überhaupt nicht möglich sein, so möchte ich diesen Mitmenschen in jedem Fall weiterhin freundlich und sozial angenehm begegnen. Ich wünsche mir dabei ebenso, dass man mit mir freundlich bleibt, gerade weil das wirkliche Wertschätzen meiner Person, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich ist.

Sollte auch das Freundlichsein nicht (mehr) möglich sein, so kann ich auf die formelle Variante der Freundlichkeit, nämlich reine Höflichkeit, umschwenken. Geht das auch nicht mehr, dann werde ich spätestens jetzt nicht darum herumkommen, dem entsprechenden Mitmenschen ehrlicherweise zu sagen, dass ich ein Problem mit ihm habe. Hoffentlich können wir dann das Problem klären, so dass wir wieder höflich, eventuell gar freundlich(er) zueinander sein können - ja manchmal entsteht durch so eine Klärung echte Wertschätzung. Sollte aber das Problem nicht aus der Welt zu schaffen sein, so müssen wir uns weitestgehend aus dem Weg gehen, so gut es eben geht. Oder ganz und gar getrennte Wege gehen, für immer.

Es kann die Situation entstehen, dass ganz und gar getrennte Wege unmöglich sind. Dann entsteht eine offene Feindschaft, bei der jeder vor dem anderen Angst hat oder der (vermeintlich) Schwächere zumindest Angst haben muss vor dem (vermeintlich) Stärkeren. Das wäre der schlimmst mögliche Fall. Dafür gibt es im Extremfall die Polizei und die Justiz zum Schutz respektive zur Rehabilitation der geschädigten Personen.

Wir dürfen in unserem Zusammenhang aber getrost einmal diesen schlimmst möglichen Fall beiseite lassen und folgendes festhalten: Eine abgestufte zwischenmenschliche Behandlung, nämlich Wertschätzung, freundlich sein, höflich bleiben oder halt aus dem Weg gehen, hat zwar den Nachteil, dass dafür kein stehender Begriff vorhanden zu sein scheint, aber wenigstens wird die zu grosse Ambivalenz des Wortes "Respekt" vermieden. Das Wort "Respekt" versucht zu viele verschiedene soziale Situationen mit einem einzigen Wort unter einen Hut zu bringen. Das Ergebnis ist ein ambivalentes Konzept, das es zu hinterfragen gilt.