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selfIn seinem Buch "Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen" unterscheidet Harari zwischen narrativem und erlebendem Selbst, das man sich als eine Art "Selbststream" vorstellen darf (zoom-link)

Die Unterscheidung ist nicht wirklich neu. Harari scheint seine Sicht auf das Selbst durch die Tatsache zu begründen, dass das Hirn eine linke und eine rechte Hemissphäre aufweist. Während eine Hemissphäre vor allem für das möglichst kohärente "Erzählen" der Selbstgeschichte verantwortlich ist (und dabei auch die Mittel der Selbsttäuschung benutzt), ist die andere Hälfte von Moment zu Moment damit beschäftigt, innere und äussere Erfahrungen zu registrieren und dem Bewusstsein teilweise zuzuführen. Personzentrierte Psychologen, wie die "echten" Gesprächspsychotherapeuten sich häufig nennen, haben eine sehr ähnliche Auffassung, welche der Begründer der personzentrierten Psychotherapie, Carl Ransom Rogers, vor allem vertreten hat. Das narrative Selbst ist nichts anderes als das Selbstkonzept und die Erfahrung entspricht dem erlebenden Selbst (experiencing self).


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Mindestens zwei Arten von psychischen Problemen

Wenn wir das Selbst grundsätzlich in zwei Hälften unterteilen, dann ergeben sich daraus mindestens zwei verschiedene Arten von psychischen Problemen. Das erste Problem ergibt sich daraus, dass die Person ein narratives Selbst hat, das überhaupt nicht zu seinem erlebenden Selbst passt. Das Erleben lässt sich mit dem Selbstkonzept nicht in Einklang bringen. Es bräuchte neue Auffassungen, Werte, Erwartungen, Haltungen, Gedanken etc. In dieser Problemstellung wäre das Erleben quasi "gut", aber die Art es einzubinden und aufzunehmen durch das narrative Selbst ist ungenügend. Das narrative Selbst ist zu wenig flexibel. Hilfreich wäre hier, dass narrative Selbst flexibler zu gestalten und es besser auf das Erleben einzustimmen (Inkongruenzerleben reduzieren).

Das zweite Problem ist genau der umgekehrte Fall. Das narrative Selbst wäre flexibel genug und sehnt sich nach einem Erleben, das weniger rigide, weniger chaotisch oder weniger impulsiv ist.. Hilfreich wäre in diesem Fall, das Erleben anzureichern mit mehr Gefühl, mit differenzierteren Gefühlen und neuen Emotionen.

Ein drittes Problem ergäbe sich übrigens aus der Überlegung, dass sowohl das vorhandene narrative Selbst wie auch die Art des Erlebens (das erlebende Selbst) in irgend einer Form gleichzeitig problematisch und Leiden schaffend sind. Das narrative Selbst wäre zum Beispiel rigide und unflexibel bezüglich eines bestimmten Lebensbereiches (oder vieler Lebensbereiche insgesamt). Die Art des Erlebens bezüglich desselben Lebensbereiches wäre aber grundsätzlich ebenso problematisch, also zum Beispiel chaotisch und impulsiv oder eingeschränkt und rigide. Dann hätte man es mit einem problematischen Erleben zu tun, das einem ebenso problematischen narrativen Selbst (Selbstkonzept) gegenüber steht.