Logo Praxis Frank Margulies - Psychotherapie Zürich Fachpsychologe für Psychotherapie - Psychotherapeuten FSP

 

 

Fachartikel zu Psychologie

Praxis-Website

 

shutterstock 2415701711 resized
attachment

In einer Bindung geht es im Wesentlichen darum, Nähe zu einem anderen Menschen zu erleben. Niemand geht eine Beziehung ein, um Distanz zu erfahren. Das würde keinen Sinn machen. Wenn Distanz zu anderen Menschen das Ziel ist, dann dürfen Sie keine dauerhafte Beziehung eingehen. Deshalb steht Nähe hierarchisch gesehen über der Distanz in einer Bindung. Distanz zum Partner oder wahlweise "Autonomie", der "eigene kleine Garten" oder auch "Eigenzeit" ist aus verschiedenen Gründen ein notwendiger Teil einer Bindung, aber nie das Ziel einer solchen. 

In einer Bindungsbeziehung macht es Sinn, verschiedene Formen der Nähe zu unterscheiden, weil bezüglich diesen Formen spezifische Bedürfnisse vorhanden sind. Oftmals sind sie in einer Partnerschaft ähnlich, manchmal auch nicht oder nicht mehr.

Man kann sich aus bestimmten Formen der Nähe zurück ziehen, wenn es in einer anderen Näheform nicht (mehr) stimmt. Manchmal kann das Bedürfnis nach einer bestimmten Form von Nähe so unbefriedigt sein, dass Partner nicht mehr zusammen sein können. Manchmal ist eine Näheform in einer Partnerschaft sehr erfüllt, so dass Unzufriedenheiten mit anderen Näheformen kompensiert werden können.

Im Folgenden möchte ich durch die verschiedenen Formen von Partnernähe gehen, die es in einer Bindung gibt.

 

Sexualität

Sexualität ist für viele Paare eine Schlüsselnähe. Für die meisten ist es auch eine exklusive Nähe, die nur in der Paarbeziehung erlebt wird. Fremdgehen ist dementsprechend eine grosse Bindungsverletzung, an der eine Bindung scheitern kann. Sexualität ist auch häufig jene Form der Nähe, aus der sich die Partner am schnellsten zurückziehen, wenn es in anderen Formen der Nähe nicht (mehr) stimmt oder wenn das Partnerwertgefühl beeinträchtigt ist.

Sexualität ist insofern eine besondere Form der Nähe, weil sie einerseits naturgemäss körperlich ist, gleichzeitig aber auch die emotionale Verbundenheit maximal zum Ausdruck bringen kann. In dieser Form der Nähe sind die allermeisten Partner sehr verletzlich.

 

Affektive Gesten 

Mit "affektive Gesten" als Form der Nähe bezeichne ich jene Form, die durch physischen Kontakt wie Berührungen, Küsse, Umarmungen, Kuscheln etc . entsteht. Die Tendenz, affektive Gesten zu geben und zu empfangen ist nicht bei allen gleich. Sie ist auch nicht mit Sexualität gleichzusetzen, auch wenn diese Berührungsnähe zu Sex führen kann. Nicht wenige Paare haben eine intensive Berührungsnähe, aber dennoch wenig oder keinen Sex (mehr).

Die Partner bringen in diesem Bereich oftmals ein unterschiedliches "Erbe" mit in die Beziehung. Wer von Haus auf mit vielen Berührungen als Zeichen der Bindung aufgewachsen ist, wird diese Form der Nähe oft stärker in die eigene Bindung einbringen (und umgekehrt).

 

Gesprächsnähe

Im Unterschied zur "geistig-intellektuellen Nähe" (siehe unten) geht es bei der Gesprächsnähe vor allem um das Mitteilen von Erlebtem oder um das Mitteilen dessen, was man gerade jetzt erlebt. Ebenso geht es um den Austausch, wie man die Beziehung emotional erlebt (die eigene Befindlichkeit austauschen). Diese im Englischen mit dem treffenden Ausdruck "sharing" bezeichnete Form der Nähe ist zentral, wenn es darum geht zu erzählen, was auf der Arbeit passiert ist, wie es mit den Kindern gegangen ist oder was gerade in einem selber erlebt wird. Ihre Aufgabe oder Funktion ist es, die Brücke zu schlagen zwischen "Aussenwelt" und "Innenweilt" einer Partnerschaft oder sie schlägt eine Brücke zwischen den jeweiligen "Innenwelten" der beiden Partner. Häufig geht es hier um reines Zuhören, manchmal ist der Wunsch um Rat auch vorhanden. Sie ist die Näheform, in welcher der andere als empathischer Partner gefragt ist. Zuhören, begleiten, verstehen sind die gefragten Qualitäten, gelegentlich auch Ratschläge erteilen.

Die Gesprächsnähe kann in verschiedener Weise zum Belastungsfeld werden. Zum Beispiel wenn ein Partner sehr viel Negatives berichtet und dadurch den anderen mit vielen negativen Emotionen ansteckt, die er (oder sie) nicht mehr bewältigen kann. Probleme können auch enstehen, wenn ein Partner zu wortkarg ist und alles immer nur mit sich selber ausmacht. Umgekehrt wird es manchmal schwierig, wenn einer der Partner sich ständig und zu ausgiebig über Befindlichkeiten mitteilen will. Hier ist auch ein klassischer Paarkonflikt beheimatet: Wenn ein Partner zu wenig Empathie zeigt und stattdessen zu viele Ratschläge erteilt.

 

Geistig-intellektuelle Nähe

Eine weitere Form von Nähe entsteht durch gemeinsame Werte, Bewertungen, Sichtweisen auf die Welt und durch gemeinsame Hintergründe (z.B. Ähnlichkeiten in Ausbildung, Herkunft etc). Wir alle müssen mit Konzepten Ordnung in unsere Wahrnehmungen bringen, damit wir sie bewältigen können. Damit sind auch immer Bewertungen verbunden, was gut oder schlecht, nützlich oder unwichtig, richtig oder falsch, "normal" oder aussergewöhnlich etc. sei. Diese Bewertungen spalten die Gesellschaft oftmals in Gruppen oder bringen natürlich vorhandene Gruppen gegeinander in Stellung (z.B. Männer/Frauen, Herkunftsgruppen usw.) . Wenn ein Paar bei solchen (Be-) Wertungen ähnlich tickt, dann kann viel Nähe entstehen, im umgekehrten Fall entsteht hingegen Distanz und Entfremdung. Ähnlichkeiten in der Herkunft und biografische Gemeinsamkeiten können solche gemeinsamen (Be-) Wertungen oftmals erleichtern.

Ein Paar ist die kleinstmögliche Form einer Gruppe (Dyade). Deshalb ensteht bei dieser Form von Nähe eine besondere Gefährdung für das Paar, dann nämlich, wenn von aussen polarisierte Themenbereiche in die Beziehung eingeführt werden, die stark mit gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeiten und den entsprechenden "gut/schlecht"-Zuschreibungen verbunden sind.

Wenn von aussen Gruppenzugehörigkeiten eingeführt werden, die die die Beziehung spalten, dann können sich die Partner deswegen abwerten. Das Partnerwertgefühl leidet. Klassische Beispiele wären hier "feministische Haltungen", die die Männer (als Gruppe) grundsätzlich abwerten. Oder binationale Paare, die die Herkunft des anderen Partners zu kritisch betrachten (die Herkunftsgruppe). Weitere Beispiele findet man im Bereich "politische Meinungen/Werte" oder in bestimmten lebensphilosophischen Haltungen (vegan essen versus Fleisch essen) usw. Das sind alles Variationen des gleichen Problems: Wenn Sie Gruppenbewertungen von aussen in die Beziehung einführen, dann besteht die Gefahr, den eigenen Partner zu kritisch oder zu negativ zu sehen, wenn man nicht die gleiche Meinung hat. In einer Paarbeziehung müssen sie sich aber zwingend das Partnerwertgefühl erhalten.

 

Nähe durch Aktivitäten, Interessen und gemeinsames Sozialleben

Für viele Partner ist diese Form der Nähe eine der wichtigsten. Wer Spass und Freude an ähnlichen Aktivitäten und ähnlich gelagerte Interessen hat, der erlebt sich und den Partner bei gemeinsamen Unternehmungen als nahe. Wer gerne selber gärtnert, aber mit jemandem zusammen ist, der keinen grünen Daumen hat, wird "Gartenarbeit" nicht unbedingt als verbindend erleben. Wer gerne wandert oder Ski fahren geht, Museen besucht oder häufig Sport betreibt, der Partner aber nicht, dann entsteht oftmals zu viel Zeit, die man ohne den Partner verbringt, ohne es zu wollen. Oder man verzichtet auf diese Aktivitäten, was bis zu einem gewissen Grad sinnvoll sein kann. Aber solche Verzichte der Partnerschaft zuliebe haben auch ihre Grenzen...

Eine besondere Form dieser Nähe ist diejenige des Soziallebens. Ist man gerne mit Freunden unterwegs, in Gruppen, möchte ein reges Familien- und Verwandtschaftsleben führen? Oder eher weniger? Das gemeinsame Sozialleben ist ebenso Teil dieser Form der Nähe.

 

Nähe durch Alltags- und Aufgabenbewältigung

Eine Bindung ist nach wie vor unsere Hauptstrategie, um besser überleben und wachsen zu können als wenn man alleine auf sich gestellt durchs Leben geht. Deshalb ist das praktische Zusammenleben unter einem Dach auch ein Bereich, wo viel Nähe entsteht. Wenn Kinder vorhanden sind, dann kommt noch Erziehungsarbeit hinzu. Bei all diesen Bereichen ist ein möglichst optimales gemeinsames Funktionieren gefragt, das nicht mehr Energie, Zeit und Ressourcen wegfrisst als nötig, so dass noch genügend Zeit und Ressourcen übrig bleiben für alle anderen Formen der Nähe.

Daraus ergibt sich auch das Hauptproblem dieser "Nähe durch gemeinsames Funktionieren": Sie frisst sehr viel Zeit und Ressourcen und geht oftmals auf Kosten der anderen Näheformen. Wenn sehr unterschiedliche Vorstellungen des gemeinsamen Funktionierens vorhanden sind, dann entstehen dabei viele Konflikte. Der Klassiker hier sind unterschiedliche Erziehungsvorstellungen. Ein weiterer Klassiker wäre, ob beide Ressourcen nach Hause schleppen (Einkommen) oder wer wieviel "Indoor-Arbeit" verrichtet und wann. Diese Form der Nähe wird vor allem als Arbeit erlebt mit den entsprechenden Arbeitskonflikten wie mangelnde Anerkennung des anderen in seiner Rolle, ein Gefühl der ungleichen Arbeitslast etc.

 

Nähe durch Zukunftsplanung: Der "gemeinsame Horizont"

Eine weitere Form der Nähe entsteht dadurch, dass sich das Paar gemeinsam in die Zukunft "projizieren" kann. Es braucht "gemeinsame Horizonte". Es gibt "kleine Horizonte" wie zum Beispiel die Wochenendplanung oder Ferienplanung. Und es gibt "grosse Horizonte" wie zum Beispiel Kinderwunsch/keine Kinder oder Vorstellungen zur Zeit nach der Pensionierung. Dieses gemeinsame Gefühl nach "vorne" ist sehr wichtig und kann bei seinem Fehlen zu einer Krise führen. 

 

Wichtig ist bei all diesen Formen, dass die Nähe als möglichst sicher und beständig erlebt wird. Ist die Nähe unsicher, dann entsteht oft ein Bindungsalarm (siehe Artikel Bindungsstile).

 

 


 

showcaseblog

Blog Praxis Margulies
- Praxis Telefon 043 317 19 38