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Das entleerte Selbst, Depression als "Nur-noch-Körper"

Eine interessante Sichtweise auf die Depression bietet uns ein eher grundsätzlicher Blick auf die menschliche Natur. Wir können das Tier "Mensch" so verstehen, dass wir in unserer evolutionären Gewordenheit aufgespalten wurden einerseits in einen Körper und andererseits in ein mit Symbolen funktionierendes Selbst, das über den Körper und die Begrenzungen der Natur hinausragen kann. Natürlich ist das Selbst körperlich-biologisch verankert. Es ist in verschiedenen Teilen des Gehirns "beheimatet". Es hat wie alle Organe auch als "zusammengesetztes Organ" eine evolutive Geschichte und entsprechende phylogenetische Vorläufer.

Hier der Gedankengang: Während einer depressiven Phase ist das symbolische Selbst zusammengebrochen. Wir sind quasi nur noch Körper. Beim Menschen ist es aber entscheidend, dass das Selbst und das Selbstgefühl dem Körper aktiv hilft, in Bewegung zu bleiben. Wer nur noch Körper ist und sein Selbst nicht mehr spürt, der ist depressiv. Depressivität ist ein Zustand, in dem der Mensch zu sehr Körper und zu wenig Selbst ist. Sein Selbst kann den Menschen aus seiner reinen Körperlichkeit nicht mehr herausheben. Das Selbst ist entleert und nur noch um wenige Emotionen wie Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit und Hilflosigkeit organisiert. Wir müssen uns aber, um im alltäglichen Leben bestehen zu können, als wertvolle, in gewissem Sinne hoffnungsfrohe und fähige Kreaturen fühlen. Eine solche Entleerung des Selbst ist in der Natur des Menschen potentiell angelegt. Wie kann es zu einem solchen Zusammenbruch kommen?

Der Zusammenbruch steckt in der Natur des Menschen

Einerseits sind wir Tiere mit einem Überlebens- und Selbsterhaltungstrieb, genau so wie alle anderen Tiere, die aus der Evolution hervorgekommen sind. Im Unterschied zu allen anderen Tieren aber ist sich das menschliche Tier seiner eigenen Sterblichkeit bewusst. Das Sterblichkeitsbewusstein auf der einen und der Überlebenstrieb auf der anderen Seite lässt im Menschen einen permanent lähmenden, lebenslangen Konflikt entstehen, der bereits in der Kindheit anfängt. Wir werden uns im Alter von etwa drei bis fünf Jahren zunehmend bewusst, dass wir irgendwann und irgendwie sterben werden, trotz der unbändigen Kraft des Überlebenstriebes (zoom-link). Wir müssen deshalb dieses Sterblichkeitsbewusstsein ständig, und damit meine ich täglich, stündlich sogar, vor der Gewahrwerdung abwehren (ins Unbewusste verdrängen). Nur so gelingt es, dass wir unseren Lebenswillen möglichst unverfälscht (statt etwa eingeschränkt) wahrnehmen. Der Mensch ist das einzige Tier mit diesem lähmenden Dauerkonflikt.

Abwehr des Sterblichkeitsbewusstseins via Kulturangehörigkeit und Selbstwert

Wir schaffen es, das Sterblichkeitsbewusstein abzuwehren, indem wir auf zwei Abwehrmechanismen zurückgreifen. Einerseits eignen wir uns durch unser Aufwachsen in einer bestimmten Kultur und Gesellschaft Überzeugungen und "Glaubensinhalte" an, die uns ein möglichst stabiles Gefühl geben, dass wir in einem sinnhaften und dauerhaften Universum leben. Zusätzlich zu diesem kulturell geprägten "Überzeugungssystem" müssen wir uns als bedeutsame, wertvolle Individuuen fühlen, die an dieser sinnhaften, sinnstiftenden Kultur und Gesellschaft aktiv teilhaben, Wir müssen fühlen, dass wir darin einen sicheren, bedeutsamen Platz haben, welcher über unser blosses Einzeldasein hinausragt. Dieses Gefühl, bedeutsam und wertvoll zu sein innerhalb einer das Einzeldasein überdauernden kulturellen und gesellschaftlichen Ordnung, nennt man auch Selbstwert.

Doppelter oder einfacher Zusammenbruch des Selbst

Der Zusammenbruch des Selbst oder die Entleerung des Selbst kann nun doppelt sein. Erstens einmal, wenn wir nicht mehr an das kulturell verinnerlichte "Überzeugungssystem" glauben können und deshalb wackliger und haltloser werden. Und zum zweiten Mal, wenn wir nicht mehr fühlen, dass wir eine bedeutsame, wertvolle Rolle oder einen bedeutsamen, anerkannten und wertvollen Platz innerhalb des kulturellen oder gesellschaftlichen "Überzeugungssystems" haben. Das heisst, wenn unser Selbstwert zu gering geworden ist.  Es ist vor allem dieser Selbstwertzusammenbruch, der zu einer depressiven Episode führt. Fehlt das persönliche Gefühl der Bedeutsamkeit, der Einzigartigkeit und der individuellen Wertigkeit innerhalb des kulturellen Schemas, dann bleibt nur die sterbliche Körperlichkeit zurück. Damit kann sich der Mensch grundsätzlich nicht abfinden, weil er dann unmittelbar dem Gefühl der Todesfurcht ausgesetzt ist.

Man kann auch sagen, dass depressive Personen das Sterblichkeitsbewusstsein und damit die Furcht vor dem Tod nicht mehr erfolgreich abwehren können, weil sie sich, vorübergehend zumindest, nicht als wertvolle und bedeutsame Teilhaber der übergeordneten, sinnstiftenden Gesellschaft und Kultur fühlen können (zoom-link).

Literatur

Ernest Becker (1973): The Denial of Death. Free Press. New York

Sheldon Solomon, Jeff Greenberg, Tom Pyszczynski (2015): The Worm at the Core. Penguin Books. UK

 


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