Logo Praxis Frank Margulies - Psychotherapie Zürich Fachpsychologe für Psychotherapie - Psychotherapeuten FSP

 

 

Fachartikel zu Psychologie

Praxis-Website

 

shutterstock 2415701711 resized

selbstwert kleeblatt

Das Wort Selbstwert bezeichnet in der Regel den Wert, den sich eine Person selber zuschreibt.

So klar und eindeutig die Definition ist, so vielfältig sind die Fragen, welche diese Definition aufwirft. Eine davon ist die Frage nach den Dimensionen des Selbstwerts. Woraus setzt sich der Selbstwert eigentlich zusammen?

Die zwei Haupt-Dimensionen: Selbstliebe und Selbstwirksamkeit

Wer die Forschung zu diesem Thema anschaut (zoom-link), der kommt zum Schluss, dass die meisten Definitionen des Selbstwerts zwei Dimensionen unterscheiden, aus denen sich der Selbstwert zusammen setzt. Einerseits gibt es die Dimension "Selbstliebe" und andererseits die Dimension "Selbst-Wirksamkeit" (zoom-link). Es macht aus meiner Sicht Sinn, zusätzlich zu diesen zwei Hauptdimensionen des Selbstwertes auch noch zwei weitere aufzuführen, auf die ich weiter unten eingehe (Selbstständigkeit einerseits und Gruppenzugehörigkeit andererseits als zusätzliche Selbstwertquellen).

Dimension "Selbstliebe" oder "Self-Liking"

Eine ein bisschen abstrakte Definition von "Selbstliebe" lautet, dass Selbstliebe die Erfahrung von sich selber als einem wertvollen sozialen "Objekt" ist. In diesem Falle ist das "soziale Objekt" die eigene Person.

Mit "sozial" ist nicht die Wahrnehmung gemeint, welche andere von uns haben. Auch wenn "die Anderen" stets eine Quelle des Selbstwertes bleiben und in der Kindheit und Jugend die entscheidende Quelle zum Aufbau des Selbstwertes waren. Vielmehr ist damit gemeint, wieviel wir uns selber sozialen Wert zuschreiben als Mensch innerhalb unserer Umwelt.

Mit dem Heranwachsen werden die Wertzuschreibungen verinnerlicht und die äussere Quelle (diejenige der anderen Personen) verliert ein wenig an Bedeutung. Allerdings bleiben die Wertzuschreibungen der anderen weiterhin in vielen Situationen des Lebens für den Selbstwert wichtig.

Wenn man die Dimension "Self-Liking" oder Selbstliebe genauer unter die Lupe nimmt, dann besteht diese Dimension des Selbstwertes wiederum aus verschiedenen Teilaspekten.

Eine Person kann sich selber mögen aufgrund ihrer Persönlichkeit oder Charakters (1) sowie aufgrund ihrer äusseren Erscheinung (2). Bezüglich ihrer Persönlichkeit sagt sich eine sich ausreichend selbst liebende Person beispielsweise, dass sie ein guter und liebenswerter Mensch ist. Sie spürt ein positives, warmes Gefühl, dass sie "gut" ist. Sie ist von sich selber auch überzeugt, geschätzt und geliebt werden zu können. Die Person ist mit sich selber zufrieden und schreibt sich gute Eigenschaften zu (nett, liebenswert, freundlich, angenehm, lustig etc.). Sie empfindet, dass sie bei ihren Mitmenschen auf Akzeptanz und Sympathie stösst. Bezüglich ihrer äusseren Erscheinung kann sie sich sagen, dass sie ein angenehmes, attraktives oder irgendwie sympathisches Äusseres hat (Erscheinungsbild), mit dem sie zufrieden ist oder gelernt hat, zufrieden zu sein.

Dimension "Selbst-Wirksamkeit" oder "Self-Competence"

Bei der Selbstwirksamkeit geht es um ein Gefühl, dass man sich als eine Person erlebt, welche wirksam oder effektiv auf ihre Umwelt einwirken kann. Selbst-Wirksamkeit führt dem Selbst Wert zu, indem wir uns als fähig erleben, ein gewünschtes Resultat durch eigene Handlungen zu erreichen. Wir erleben uns als mächtig und wirksam. Selbstwirksamkeit ist der Glaube, ausreichend Einfluss auf Lebensereignisse auszüben, die mein Leben bestimmen (zoom-link).

Wenn man das Wort "Selbstwirksamkeit" unter die Lupe nimmt, so kann man ebenso verschiedene Aspekte hervorheben, die die Selbstwirksamkeit insgesamt ausmachen. Selbstwirksamkeit setzt beispielsweise Fähigkeit, Wissen und Können voraus, mit denen eine Person auf ihre Umwelt einwirken kann. Insofern hat jede Person auch eine persönliche Geschichte von "Erfolgen" und "Misserfolgen". Mit dieser persönlichen Geschichte hat jede Person ein Stück weit auch sein Selbstwertgefühl geprägt und prägt es weiter. Aus dieser Geschichte ziehen wir sowohl Beschämungen wie auch Stolz. Zur Dimension "Selbst-Wirksamkeit" kann man auch den Aspekt der Autonomie und persönlichen Freiheit, im Unterschied zur Abhängigkeit, zählen. 

Wer sein Leben als selbstbestimmt empfindet und entsprechend auch danach handelt, führt sich hier Wert zu. Wer sich als abhängig und unselbstständig empfindet, riskiert eine Verminderung seines Selbstwertgefühls. Natürlich ist das von Person zu Person sehr unterschiedlich.

Dritte Dimension der Unabhängigkeit und Autonomie?

Während man das Autonomiegefühl und das Unabhängigkeitsgefühl, also das Gefühl, selbstständig und frei im Leben zu stehen (nicht abhängig zu sein) zur oben genannten zweiten Dimension der Selbstwirksamkeit zählen kann, so ist es auch sehr gut möglich, diese Dimension des Selbstwertes separat zu betrachten. Gewisse Personen ziehen aus dem Gefühl, nicht abhängig zu sein, sondern autonom für sich selber zu sorgen, den grössten Selbstwert. Vor allem Personen, die einen vermeidenden Bindungsstil haben, werten ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit dermassen hoch, dass eine Bindung manchmal als Verminderung ihres Selbstwertes empfunden wird. Dahinter steckt natürlich auch eine grosse Unsicherheit, letztlich auch Ängstlichkeit, sich wirklich auf eine Person einzulassen und zu vertrauen.

Vierte Dimension der sozialen Gruppenzugehörigkeit?

Gewisse Studien zum Thema Selbstwert haben auch untersucht, inwiefern die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine wichtige Quelle von Selbstwert darstellen kann (zoom-link). Diese Forschungsrichtung entstand vor allem auf dem Hintergrund, dass gewisse soziale Gruppen (Dunkelhäutige, Ausländer, religiöse Zugehörigkeit, Altersgruppen, Geschlechtszugehörigkeit) nachweislich eine Quelle von Wert respektive von Wertlosigkeitsempfinden sein können. Zughehörigkeit respektive mangelnde Zugehörigkeit oder auch abgewerte Zugehörigkeit (z.B. zu den "Alten" zu gehören) hat einen Einfluss auf das Selbstwertgefühl und darf deshalb als vierte Dimension aufgeführt werden.

Selbstwert versus Narzissmus versus Minderwertigkeitskomplexe

Wieviel Selbstwert jemand aus diesen verschiedenen Dimensionen und deren Aspekte zieht, ist individuell sehr verschieden. Auch ist das Empfinden von Selbstwert etwas sehr Subjektives: Es ist ein Gefühl zu sich selbst und die Wahrnehmung davon abhängig ganz allein von der eigenen Person.

Deshalb ist es möglich, dass jemand auch einen stark übertriebenen Selbstwert haben kann, obwohl "neutralere" Beobachter bei der entsprechenden Person deutlich kritischer wären als die Person selbst. In einem solchen übertriebenen Falle von Selbstwert spricht man gelegentlich von einer narzistischen Persönlichkeit.

Genauso besteht die Möglichkeit, sich selber als viel zu wenig wertvoll anzuschauen, obwohl "neutralere" Beobachter ohne zu zögern der entsprechenden Person viel mehr Wert zuschreiben würden. Hier würde man dann von Komplexen oder Minderwertigkeitsgefühlen reden.

Psychologische Entwicklung des Selbstwerts

Nachdem wir auf die verschiedenen Dimensionen des Selbstwerts eingegangen sind, möchte ich noch einen kurzen Blick auf die Entstehung des Selbstwertes und auf seine wichtigste Aufgabe werfen. Der Selbstwert ist ein Gefühl, das man als Mensch zu sich selber hat. Ein Gefühl des positiven Wertes respektive negativen Wertes, je nach dem eben...

Der Selbstwert ist so betrachtet der wichtigste Abwehrmechan-ismus oder Verdrängungs-mechanismus des Menschen

Doch was ist das für ein Gefühl? Der Kern eines positiven Selbstwertgefühls kann man am besten als ein warmes Gefühl zu sich selbst beschreiben: Dass alles mit einem selber und alles rundherum in Ordnung und gut ist.

Dieses warme Gefühl zu sich selbst ist bei ausreichender Aufmerksamkeit auch körperlich spürbar als emotionale Wahrnehmung. Wenn wir von "Wert" reden im Zusammenhang mit dem Selbstwert, dann meinen wir eigentlich das Gefühl "ich bin gut und alles herum ist gut". Der Kern eines positiven Selbstwertgefühls als "warmes Gefühl zu sich selber" zu beschreiben hat mit der Entstehungsgeschichte dieses Gefühls als Kleinkind zu tun. Ernest Becker schreibt dazu: Beim Kleinkind ist der "Selbstwert ein Gefühl der Selbst-Wärme, das alles in seiner unmittelbaren Welt in Ordnung ist" (zoom-link). Die ihn umsorgenden Eltern schauen auf sein Wohl, sind stets da, um alle Schwierigkeiten und Unpässlichkeiten aus dem Weg zu räumen, versorgen ihn mit Nahrung, mit Hygiene, lächeln und sind begeistert. Das verschafft dem Kind dieses warme Selbstgefühl. Es wird durch Liebe und die Fürsorge sowie durch die elterliche Bereitschaft, für maximale Sicherheit und Stabilität zu sorgen, erzeugt.

Auf einen Nenner gebracht, ist der Kern des Selbstwerts ein Gefühl der Selbst-Wärme, das die existenziellen Ängste des (heranwachsenden) Menschen erfolgreich abwehrt.

Vom Kind zum Erwachsenen

Diese Art von erstem Selbstwertgefühl ist der zentrale Mechanismus für das Kind, seine Ängste vor der stets überfordernden Realität in Schach zu halten und erfolgreich abzuwehren.

Wenn es weiter heranwächst, muss das Kind aber mehr tun als dazuliegen und mit einer Rassel in der Hand zu lächeln, um das warme Selbstwertgefühl aufrechterhalten zu können. Es muss sich nämlich den elterlichen und familiären Anforderungen mehr und mehr anpassen und "geeignetes", das heisst wertgeschätztes Sozialverhalten zeigen. Das Selbst des Kleinkindes formt sich nun immer stärker danach, was von seinem Umfeld mit Lob respektive mit Tadel bedacht wird.

Es wird diesen Anforderungen deshalb gerecht, weil es so das warme Selbstwertgefühl am ehesten aufrecht erhalten kann. Denn gelungene psychologische Anpassung an die äusseren Bedingungen erzeugt Lob und Zufriedenheit, Fürsorge und auch Beziehungsstabilität und Sicherheit. Das erzeugt wiederum dieses wärmende Selbstgefühl oder den Selbstwert, dass "ich und alles rundherum okay sind".

Das Kind lernt, wie es sich in seinen Reaktionen an die Umwelt so anzupassen hat, dass dieses Gefühl der Selbst-Wärme möglichst stets aufrechterhalten bleibt. Das Aufrechterhalten dieses warmen Selbst-Gefühls ist lebenswichtig, um die natürlichen, existenziellen Ängste als Heranwachsender überhaupt bewältigen zu können.

In der Entwicklung vom Kind bis zum Erwachsenen geht es darum, dieses Gefühl der Selbst-Wärme aufrechtzuerhalten und auszubauen respektive alles zu tun, dass es nicht geringer wird: Als noch kleines Kind gegenüber seinen Eltern und den engsten Familienmitgliedern, dann bald einmal gegenüber seiner Altersgruppe und den entsprechenden ausserhäuslichen Bereichen wie Schule.

Der Erhalt und die weitere Entwicklung des Selbstwerts finden nun vermehrt in der erweiterten Welt statt, die über die Familie hinausweist. Also Berufszugehörigkeit, Vereine, Wohnort ("gutes" oder "schlechtes" Quartier etc.). Alles, was irgendwie mit Sozialstatus zu tun hat, spielt eine wichtige Rolle. Erweiterte Zugehörigkeiten wie Religion, Gesellschaft im allgemeinen, Ethnie und Kultur ebenso. Aus diesen Umwelterweiterungen ziehen schon Kinder, aber umso mehr Jugendliche und Erwachsene einen wesentlichen Teil ihres Selbstwertes oder eben auch nicht.

Für das erwachsene Indivduum ist der Erhalt seines Selbstwertgefühls gegenüber diesen "erweiterten" sozialen Zugehörigkeiten eine lebenslange Aufgabe und Herausforderung. Die unsichtbare Funktion des Selbstwerts bleibt auch ein Leben lang die gleiche: Der Selbstwert hilft allen Menschen, ihre existenziellen Ängste vor der letztlich nicht kontrollierbaren Realität zu bewältigen, sei es nun die Realität der Familie, der Gesellschaft, der Kultur und letztlich der Welt und des Kosmos, von dem unser Planet ein klitzekleiner Teil ist und in dessen schierer Grösse als planetares Staubkorn verschwindet.

Der Selbstwert ist so betrachtet der wichtigste Abwehrmechanismus oder Verdrängungsmechanismus des Menschen. Wenn der Selbstwert gering ist, dann fällt es dem Menschen schwer, sich der Realität und ihren Herausforderungen, die immer auch Überforderungen darstellen, überhaupt zu stellen. Die Lebensängste nehmen überhand, weil ihnen zu wenig Selbstwert entgegengesetzt werden kann. Das Selbst ist dann vor allem noch mit Gefühlen der Hoffnungslosigkeit, der Wertlosigkeit und der Hilflosigkeit "gefüllt". Und dahinter steckt die nackte Angst.

Literatur

Wichtige Definitionen in diesem Artikel habe ich aus folgendem Artikel übernommen:

--> R.W. Tafarodi, W.B. Swann Jr.: Two-dimensional self-esteem: theory and measurement. In "Personality and Individual Differences, Vol. 31 (2001), 653-673"


 

 

showcaseblog

Blog Praxis Margulies
- Praxis Telefon 043 317 19 38