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kiffencannabisWenn Kiffen zum Problem wird

Wer von seinem Cannabis-Missbrauch wegkommen will, tut gut daran, weniger seine Familie zu kritisieren als sein Kollegen-Umfeld zu überprüfen. Erfahrungen von persönlichen und schulischen Misserfolgen, die mit einem Leistungsdruck in Zusammenhang stehen, müssen ebenso aufgearbeitet werden wie resignative weltanschauliche Positionen und Zukunftsängste.

Cannabis-Konsum wurde in den letzten Jahren zum Teil auffällig kontrovers diskutiert. Die gesundheitliche Schädlichkeit des Konsums, angedrohte Horrorszenarien wie Psychoseschübe oder auch der erhöhte THC-Anteil des sogenannten Indoor-Gras’ standen dabei im Zentrum der Debatte. Im Unterschied zur gesellschaftlichen Diskussion ist die Beratungs- und Therapierealität von Cannabis-Konsumenten unaufgeregter und zeitigt über die Jahre hinweg wenig Veränderungen.

Wer davon loskommen möchte und eine Beratung sucht, schildert gestern wie heute ähnliche Motive und Schwierigkeiten. Etwa 6 bis 8% aller Jugendlichen in der Jugendberatungsstelle SAMOWAR für den Bezirk Horgen (Kanton Zürich) geben als Hauptproblematik ihren Cannabis-Konsum an. Patrick (17) erzählt in seiner ersten Beratungsstunde, dass er sich von seiner Freundin getrennt habe, und das tue ihm jetzt schrecklich leid. Als er ihr dies telefonisch mitteilte, sei er zu Hause im Bett gelegen. Bekifft, wie so oft in den letzten zwei Jahren. Sein Fazit: Er hätte sich wohl nicht getrennt, wenn er nicht

in dem Moment auf Cannabis gewesen wäre. Patrick erzählt weiter, dass er im THC-Rausch besonders viele Zweifel und Verunsicherungen bezüglich seiner Beziehung erlebe, so etwas kenne er in nüchternem Zustand nicht. Das habe er mit seinen Kollegen, die übrigens fast alle auch kiffen, schon oft besprochen. Die Erfahrung dieses Fehlentscheids sei zur Motivation geworden, etwas zu verändern. Er wolle versuchen, das Kiffen in den Griff zu bekommen.

Frau Z. (52) berichtet in einer Erziehungsberatungssitzung, dass sie ihren Sohn (16) seit geraumer Zeit aggressiver erlebe, vor allem seitdem er kiffe. Er habe zudem die Tendenz, viel Zeit nur mit der gleichen Person zu verbringen oder dann ganz alleine zu sein. Die Auseinandersetzungen mit ihm seien mittlerweile zu heftig geworden, sie wisse nicht mehr weiter. Es sei nicht mehr möglich, ihn irgendetwas zu fragen oder von ihm zu wollen. Er fühle sich nur noch gestört und reagiere sehr abweisend.

Es ist meistens unumgänglich, dass «Kiffer» Abstand zu all jenen Beziehungen halten, in denen der Cannabis-Konsum die Regel ist

Umgang mit Suchtmitteln

Beide hier erwähnten Cannabis-Fälle betreffen Jugendliche, die seit längerem täglich und alleine konsumierten. Dies sind wichtige Kriterien in der Prozess-Diagnostik von Cannabis-Missbrauch. Löst sich der Konsum vom konsumierenden Kollegen-Umfeld ab, um zunehmend individueller zu werden, dann entsteht das «Problem-Kiffen». Der Prozess verläuft bei allen deshalb ähnlich: Zuerst existiert die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder die Bindung zu mindestens einer konsumierenden Person. Diese (Gruppen-)Bindung wird positiv erfahren. Der Konsum von THC führt dem Organismus eine weitere positive Erfahrung in Form von Entspannung zu. Wer nun gleichzeitig in einer belastenden Situation steckt, kann durch den Konsum eines Suchtmittels erfahren, dass sich das Erleben der Belastung vorübergehend verringert. Diese Erfahrung verführt zur Wiederholung, wenn die Belastung andauert oder wenn eine neue Belastung zu einem späteren Zeitpunkt auftaucht. Die Wahrscheinlichkeit eines risikoreichen Umgangs mit Suchtmitteln steigt, je weniger die betroffene Person über bereits verinnerlichte kritische Haltungen, über andere Vorbilder sowie über alternative Bewältigungsmöglichkeiten verfügt.

Zum Stichwort „Belastung, die andauert“: Es handelt sich meistens um Belastungen, die auch Entwicklungsaufgaben sind, Herausforderungen, mit denen man Hochs und Tiefs erleben kann. Eine „Lehre“ meistern ist ein Problem, das mehrere Jahre andauert. Ein Gymi schaffen ebenso. Bedeutsame Beziehungen, die man immer wieder als schwierig oder konfliktreich erlebt, sind „Probleme“, die man nicht einfach so los wird. Wenn hier von Belastung die Rede ist, so meine ich damit auch „Lebensaufgaben“ und Herausforderungen, die einem aufgegeben sind.

Abstand zu anderen Kiffern

Um sowohl die Distanz zum Konsum wie auch positive Erfahrungen des gelingenden Verzichts zu schaffen, ist es meistens unumgänglich, dass «Kiffer» Abstand zu all jenen Beziehungen halten, in denen der Cannabis-Konsum die Regel ist. Nicht selten mache ich die Erfahrung, dass Beziehungsunterbrüche oder gar -abbrüche notwendig sind, um den Konsum reduzieren zu können. Viele Reduktions- oder Ausstiegswillige spüren dies intuitiv und meiden deshalb eine Veränderung. Der mögliche Verlust der Kollegen und Kolleginnen wirkt begreiflicherweise bedrohlich. Wieso ist es zwingend, Abstand zu halten? Am Anfang eines Cannabis-Konsums steht irgendeine Beziehung oder Bindung zu einem bereits konsumierenden Kollegen oder Kollgenkreis. Diese Beziehungen bleiben in der Regel das emotionale Fundament für den weiteren Konsum. Wer davon loskommen will, muss sich von diesem Fundament trennen. Ansonsten wird die notwendige Disziplin zum Aufhören immer wieder vom Kollegen, der halt weitermacht, durchkreuzt. Wer nach der Reduktion spürt, dass er lieber andere Kollegen möchte, der wird sich bessere andere suchen. Wer Angst hat, keine andern zu finden, ist in einem Dilemma. Der muss darauf vertrauen, irgendwann halt wieder Anschluss zu finden. Es gibt genügend Möglichkeiten in unserer Gesellschaft, Beziehungen und Bindungen zu knüpfen, selbst wenn dafür das eigene Dorf oder das Quartier, in dem man lebt, ersetzt werden muss durch das Nachbardorf oder das angrenzende Quartier.

Zwischen Suchttherapie und Erziehungsberatung  

Die beiden Fallbeispiele am Anfang unterscheiden sich durch ein wesentliches Merkmal. Patrick kam aus freien Stücken, weil er sich von seinem eigenen Erleben entfremdet fühlte. Er spürt einen Veränderungsdruck von innen. Hier kann man therapeutisch arbeiten. Frau Z. hingegen ist als Bezugsperson von der Problematik betroffen: Der Veränderungsdruck aus Sicht des Kiffers kommt von aussen. Wie mit dem Sohn reden? Welche anderen Bezugspersonen können mobilisiert werden? Können neue Grenzen gegenüber dem Sohn durchgesetzt werden? Kann der Sohn für eine Beratung gewonnen werden? Solche Fragen stehen im Zentrum bei Frau Z. Es handelt sich um eine Erziehungsberatung. Zwei Faktoren bestimmen den Erfolg der Erziehungsberatung am meisten: Je jünger der Jugendliche ist, desto besser «greifen» erziehungsberaterische Ansätze, und je glaubwürdiger die (elterliche) Autorität in den Augen des Jugendlichen geblieben ist, desto eher haben (elterliche) Bezugspersonen eine Chance auf Wirkung.

Positives wieder wecken

Das konkrete Vorgehen beim Wunsch, den eigenen Konsum wieder in den Griff zu bekommen, ist bei den meisten ähnlich; allerdings sind Tempo und die Umstände, wie der Prozess umzusetzen ist, natürlich individuell. Bei vorhandenem Reduktionswunsch sollten Erfahrungen des teilweisen oder tageweisen Verzichts eingeübt und dann empathisch besprochen werden. In jedem Fall muss das Kollegenumfeld überprüft werden. Wichtig ist das Überprüfen und Stärken der schulischen und beruflichen Interessen. Sehr oft mache ich die Erfahrung, dass der Ehrgeiz aufgrund von vorangegangenen Schulerfahrungen gebrochen wurde. Dieser muss über eine therapeutische Beziehungserfahrung aufgebaut werden. Wichtig ist auch das Eingehen und Überprüfen von weltanschaulichen Fragen und Gefühlslagen. Häufig haben die entsprechenden Welt-Bezugs-Konzepte einen pessimistischen und resignierten Anteil. Es geht darum, dass nebst Kritik und Ablehnung auch das Akzeptieren und Annehmen von gesellschaftlichen Umständen wichtig ist. Wer nur ablehnt, der wird auch bei sich persönlich kaum etwas Positives bewegen können. Der ganze Prozess dauert in der Regel mehrere Monate. Wer „dran“ bleibt, hats in einem halben Jahr hinter sich.

Die Hintergründe: Die eigene und die familiäre Welt

Im Zusammenhang mit Cannabis-Beratungen ist mir im Laufe der Jahre immer wieder aufgefallen, dass die Problemlagen fast ausschliesslich aus der «eigenen Welt» des Jugendlichen stammen und wenig mit familiären Problemen zu tun haben. «Reine» Problem- Kiffer/innen sind somit in der Regel jene, die in den Bereichen von Schulkarriere, Ausbildung und Gleichaltrigen-Beziehungen schlecht zu Rande kommen und sich uneingestandenerweise überfordert fühlen. Sie tragen deswegen unverarbeitete, das heisst unverstandene und belastende Erfahrungen mit der ausserfamiliären Welt in sich. Gleichzeitig scheint es der Familie nicht zu gelingen, mit diesen Erfahrungen des Jugendlichen ausreichend im Gespräch zu bleiben. Die notwendigen Ablösungsprozesse eines Menschen, der erwachsen und zunehmend selbstständig werden muss, spielen hier eine ungünstige, aber wohl unvermeidliche Rolle. Eine andere Faustregel besagt, dass die Probleme der Problemkiffer/innen dann familiäre Ursachen haben, wenn mit der Zeit zusätzlich zum intensiven Cannabiskonsum «härtere» oder «ergänzende » Suchtmittel (zum Beispiel Alkohol) eingenommen werden. Das familiäre Beziehungsgefüge von «reinen Problem-Kiffer/innen» erweist sich dagegen bei gemeinsamer Überprüfung oft als funktionstüchtiger als es von Eltern und Jugendlichen wahrgenommen wird. Gerade Eltern kann diese Einsicht von eigenen Schuldgefühlen entlasten und im Falle eines erziehungsberaterischen Ansatzes handlungsfähiger werden lassen.

 

 


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